Psychische Komorbidität bei Tinnitus

Gerhard  Goebel

Kernaussagen

  • Psychische Belastungen und behandlungsbedürftige psychische Störungen sind v. a. beim dekompensierten Tinnitus häufige Komorbiditäten. Diese Beeinträchtigungen sind nicht nur als Reaktion auf den Tinnitus zu verstehen, sondern sie sind in ein komplexes, miteinander interagierendes Beziehungsgefüge eingebunden. In der Anamnese sollten besonders bei Patienten mit einem dekompensierten Ohrgeräusch mögliche komorbide psychische Erkrankungen Beachtung finden.
  • In der aktuellen AWMF-Leitlinie Tinnitus der HNO-Fachgesellschaft ist der Thematik psychischer Störung großer Raum gegeben worden. Es manifestiert sich der Brückenschlag zwischen somatischer und psychischer Sichtweise der Therapie von chronisch Tinnitusbetroffenen. Ähnlich bestehen nach den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen und Neurootologen (ADANO) klare Regelwerke bezüglich Diagnostik und Therapie auftauchender psychischer Störungen (engste Kooperation HNO-Arzt mit Psychotherapie / Psychiatrie).
  • Besonders Patienten mit einem Schweregrad III und IV (dekompensierter Tinnitus) sollten bezüglich einer psychischen Komorbidität untersucht werden. Die richtige und rechtzeitige Erkennung der psychischen Komorbidität hat bedeutsame Implikationen für die Diagnostik, die Therapie und den Verlauf der psychischen und assoziierten otologischen Erkrankungen. Hierfür geben der TF nach Goebel und Hiller bzw. Mini-TQ12 , strukturierte Interviews für psychische Störungen oder Fragebögen (ggf. in Kurzversionen) zur Erfassung von Angst und Depressivität genügend Anhaltspunkte. Diese Patienten stellen eine Herausforderung an die Erfahrung, Kompetenz, Flexibilität und Motivation des Therapeuten dar.
  • Wird eine psychische Komorbidität erkannt, ergibt sich – am besten in Kooperation des HNO-Arztes mit Psychiater, Facharzt für Psychotherapeutische bzw. Psychosomatische Medizin und ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten – die Indikation einer psychotherapeutischen oder psychiatrisch-psychopharmakotherapeutischen Behandlung sowie deren Modifikation (ambulant: modifizierte Tinnitus-Retraining-Therapie [TRT-ADANO], stationär: Reha über den RV oder Krankenhausbehandlung über die KV / Beihilfe).
  • Bei Tinnituspatienten (und nicht nur bei diesen) werden gleichzeitig bestehende psychische Störungen von Ärzten viel zu wenig beachtet und damit oft die Beeinträchtigung eines Patienten unterschätzt. Emotionale Faktoren wie Depressionen und Angststörung sowie Somatoforme Störungen (Somatisierung, Hypochondrie) stellen ernst zu nehmende Prädiktoren für eine schlechte Prognose der Tinnitusentwicklung dar. Dies macht es notwendig, über standardisierte TRT-Behandlungen hinaus an der Weiterentwicklung von Therapieverfahren zu arbeiten.

Quelle: Thieme eJournals – Abstract

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