Wer findet was? Vergleich von klinischer Diagnostik und strukturiertem Interview bei Angst- und Anpassungsstörungen

Saskia  Terber, Isabella  Untersinger, Volker  Köllner
Nur wenige Studien haben untersucht, ob strukturierte Interviews ergänzend zur klinischen Diagnostik zusätzliche Informationen gewinnen kann, die den damit verbundenen Mehraufwand rechtfertigen. Ziel dieser Arbeit war es, die Ergebnisse klinischer und strukturierter Diagnostik in einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik miteinander zu vergleichen. Der Fokus lag hierbei auf Angst- und Anpassungsstörungen. 240 Patienten (weiblich: 77 %; Alter: 48,7 ± 8,6 Jahre) wurden mithilfe eines standardisierten Interviews (DIA-X) innerhalb der ersten Woche nach Aufnahme beurteilt. Die Interviewer waren hinsichtlich des Ergebnisses der klinischen Diagnostik verblindet. In der strukturierten Diagnostik wurden mehr komorbide Diagnosen vergeben und eine ausgeprägtere Krankheitsschwere festgestellt. In 38,3 % wurde von den Klinikern eine Anpassungsstörung diagnostiziert, im strukturierten Interview nur bei 15,8 %. Der größte Teil der Patienten, die klinisch die Diagnose Anpassungsstörung erhalten hatten, zeigten im DIA-X ein depressives Störungsbild bis hin zur schweren Episode. Angststörungen wurden im Interview deutlich häufiger diagnostiziert. Allerdings handelt es sich hier teilweise um spezifische Phobien, die zu eher geringen Beeinträchtigungen führten. Eine echte Unterdiagnostik scheint bei der sozialen Phobie und der generalisierten Angststörung zu bestehen. Kliniker legen offensichtlich stärkeres Gewicht auf eine kausale Betrachtung als die aktuellen diagnostischen Systeme. Bei den Angststörungen lag die Stärke des Interviews in der Identifizierung von Störungen, deren Symptome Patienten eher selten spontan berichten (GAS und soziale Phobie), andererseits wurden klinisch nicht relevante Störungen überdiagnostiziert. Auch wenn aus zeitökonomischen Gründen strukturierte Diagnostik nicht routinemäßig eingesetzt werden kann, ist es lohnend, sich in der Fort- und Weiterbildung mit den unterschiedlichen blinden Flecken diagnostischer Systeme auseinanderzusetzen.

Thieme eJournals – Abstract

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