„Individualisierte Medizin“: Geht es wirklich um das Individuum?

„Individualisierte Medizin“ (IM) ist in kurzer Zeit zu einem Spitzenthema der Medizin avanciert und wird durch die Industrie und Forschungsförderprogramme der öffentlichen Hand weiter gefördert. „Individualisierung“ bezieht sich dabei nicht auf das menschliche „Individuum“, sondern auf dessen „Molekulom“, d. h. auf Biomarker aus dem Genom, Proteom, usw. Ferner geht es dabei eher um „Stratifizierung“ als „Individualisierung“. Insofern ist diese Verwendung des Begriffs IM irreführend und entspricht nicht dem in vielen Studien dokumentierten Bedürfnis von Patienten nach einer IM. Dieses Bedürfnis umfasst nebst dem Eingehen auf die individuellen rein körper- und molekülbezogenen Aspekte von Erkrankung auch die Aktivierung von individuellen systemisch-organismischen Heilungsprozessen („Abwehr“- oder „Selbstheilungskräfte“ des Organismus als „Ganzen“) sowie das Eingehen auf individuelle seelisch-geistige und soziale Bedürfnisse im Sinn einer umfassenden „Individuums“- oder „Personen“-zentrierten Medizin. In der Onkologie wie auch sonst in der Medizin gibt es Ansätze einer Individualisierung auf allen genannten Ebenen, der molekular-körperlichen, der systemisch-organismischen, der seelisch-geistigen und der sozialen. Wenn es bei „IM“ tatsächlich um die „auf die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen des Patienten zugeschnittene Medizin“ geht, dann ist nicht einzusehen, warum sich die öffentliche Forschungsförderung einseitig auf den molekularen Aspekt beschränkt.

Thieme E-Journals – Deutsche Zeitschrift für Onkologie / Abstract

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